Unternehmen umdenken
Vertrauen in Unternehmen
Wie soll ich darauf vertrauen, dass ein Unternehmen seinen Werten treu bleibt? Diese Frage stelle ich mir oft. Denn wir leben in einer Wirtschaft, welche die Ziele eines guten Unternehmens darin sieht, möglichst viel Gewinn zu machen. Mir fällt es deswegen schwer, drauf zu vertrauen, dass Unternehmen den Werten treu bleiben, mit denen sie werben. Schließlich kann es immer passieren, dass aus Gründen der Gewinnsteigerung die Umsetzung dieser Werte vernachlässigt wird.
Im Bereich der Nachhaltigkeit fällt mir das besonders oft auf. So wirbt gerade nahezu jedes Unternehmen damit, dass es besonders klimafreundlich und nachhaltig sei. Aber bei welchem Unternehmen kann ich solchen Werbeaussagen trauen? Man kann Siegel einführen, welche die Einhaltung von Standards überprüfen. Aber wie wir bei Bio sehen können, ist es nicht ersichtlich, welches Siegel die ursprünglichen Standards angibt und welches nur einen Abklatsch versichert. Wir stellen fest: Das Problem mit dem Vertrauen verschiebt sich nur.
Einige Unternehmer:innen in Deutschland haben dieses Problem auch erkannt und wollten daran etwas ändern. Sie haben die Strukturen ihrer Unternehmen so gestaltet, dass sie keine Gewinne privatisieren können und somit ihre Handlungen an die Zwecke und Werte der Organisation gebunden bleiben – die wiederum müssen noch nicht nachhaltig sein, aber zumindest die Gefahr gekaperter Werte wird abgewehrt. Diese institutionelle Innovation nennen sie Unternehmen in Verantwortungseigentum.
Was diese Unternehmer:innen geschafft haben, sind für sich bereits zahlreiche Gelingensgeschichten, denn derzeit gibt es in Deutschland noch keine eigenständige Unternehmensform, die dem entspricht. Die Umsetzung dieser Strukturen ist deswegen kompliziert und aufwendig. Aber um diese Unternehmen geht es mir hier gar nicht. Ich möchte eine noch viel größere Gelingensgeschichte erzählen: die Geschichte einer Stiftung. Ihr ist es gelungen, dass im aktuellen Koalitionsvertrag Verantwortungseigentum als eine rechtliche Unternehmensform festgeschrieben ist.
Stiftung Verantwortungseigentum
Um besser erklären zu können, was die Stiftung macht, möchte ich kurz darlegen, was Verantwortungseigentum bedeutet. Bei Verantwortungseigentum geht es um eine Unternehmensform, welche zwei Ideen verbindet. Zum einen soll das Unternehmen möglichst selbstständig bleiben und nicht zum Objekt von Spekulation werden. Zum anderen sollen die Gewinne nicht aus dem Unternehmen entnommen, sondern wieder in das Unternehmen und seinen Zweck reinvestiert werden.
Derzeit gibt es eine solche Unternehmensform noch nicht, dennoch haben bekannte Unternehmen wie Einhorn, Ecosia oder Bosch diese Struktur gewählt. Dabei wird eine rechtliche Konstruktion aus GmbH und Stiftung gebildet. Das Problem ist, dass dies vor allem für kleinere Unternehmen und Start-Ups mit hohen formellen Hürden und viel Aufwand verbunden ist.
Die Stiftung Verantwortungseigentum, welche im November 2019 gegründet wurde, unterstützt dabei und fördert die Verbreitung von Verantwortungseigentum. Sie tut dies, indem sie für öffentliche Aufmerksamkeit sorgt. Auch hilft sie Unternehmer:innen bei der Umsetzung und bietet eine Plattform zur Vernetzung. Das langfristige Ziel der Stiftung besteht darin, eine GmbH-VE, welche an diesen Prinzipien orientiert ist, im deutschen Gesellschaftsrecht zu verankern.
Eine neue Rechtsform
Wie das rechtlich umgesetzt werden soll, hat die Stiftung juristisch ausformuliert.1 Drei Kernpunkte sind für diese Unternehmensform entscheidend.
- Das Selbstbestimmungsprinzip
Damit soll festgelegt werden, dass nur jene Menschen eine Kontrollposition in dem Unternehmen bekommen können, welche der gleichen »Werte- und Fähigkeitenfamilie« angehören und dem Unternehmen langfristig verbunden sind. Auch müssen die Gesellschafter:innen zustimmen, wenn neue Personen in die Gesellschaft eintreten möchten. So ist es nur möglich, dass natürliche Personen, andere GmbH-VE oder weitere Rechtsträger mit dauerhafter Vermögensbindung (z. B. rechtsfähige Stiftungen) beitreten. Auch können die Kontrollrechte schwieriger veräußert oder vererbt werden. - Die Vermögensbindung
Das Vermögen wird an das Unternehmen gebunden, so dass Gewinne und Wertsteigerungen des Unternehmens nicht an die Gesellschafter:innen ausgeschüttet, also privatisiert werden. Bei Eintritt hinterlegen die Gesellschafter:innen einen Einlagewert, welchen sie beim Ausstieg oder der Auflösung des Unternehmens zurückerhalten.
So dienen die Gewinne dem Unternehmen, indem sie in das Unternehmen reinvestiert, die Kosten und Investitionen bezahlt oder gespendet werden. Die Gesellschafter:innen verwalten und gestalten das Unternehmen, haben aber kein Eigentum an dessen Vermögen. - Unveränderlichkeit/ Unabdingbarkeit
Die oben beschriebenen Strukturen kann man, wie bereits angedeutet, auch in anderen Unternehmensformen einführen. Im neuen GmbH-VE-Gesetz sollen diese zwei Prinzipien jedoch obligatorisch sein, so dass sie nicht von zukünftigen Generationen umgangen, verändert oder abgeschwächt werden können.
Im Ergebnis werden Unternehmen sich selbst gehören. Das verhindert, dass Gewinn- oder Renditeerwartungen den Zweck und die Werte verändern oder gar missbrauchen. Gleichzeitig sind die Gesellschafter:innen verpflichtet, im Sinne des festgeschrieben Zweckes und innerhalb der Werte des Unternehmens zu handeln.
Wirtschaft ist gestaltbar
Die Unternehmen, die diese Stiftung mitgründeten, haben wichtige Beiträge dazu geleistet, dass sich überhaupt etwas bewegen konnte. Sie haben ihre Unternehmen anders organisiert und so probiert, ihre Überzeugungen zu realisieren. Die gemeinsame Gelingensgeschichte beginnt jedoch erst danach. Denn sie haben sich gemeinsam damit nicht zufriedengegeben und waren gemeinsam überzeugt, dass Wirtschaft mit dieser Idee auch im größeren Rahmen umgestaltet werden kann. Zeit, Energie und auch Geld in diese Idee zu investieren, ein Risiko einzugehen und trotz Kritik daran zu glauben und zu arbeiten, das fällt manchmal nicht leicht. Dennoch waren sie überzeugt genug, um es zu wagen. Sie haben Jurist:innen und Wissenschaftler:innen beauftragt, einen Gesetzesentwurf anzufertigen, welcher aufzeigt, wie Verantwortungseigentum in einem möglichen GmbH-VE-Gesetz aussehen kann. Auch haben sie dafür gesorgt, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet. So gibt es mittlerweile auch eine Studie, welche sich damit auseinandersetzt.2 Sie belegt, dass 42 Prozent der befragten Familienunternehmen es sich vorstellen können, die Form des Verantwortungseigentums für ihr Unternehmen zu wählen. Das Interesse ist also geweckt, auch dank der medialen Aufmerksamkeit für das Thema und der betriebenen Aufklärungsarbeit. Dies hat auch dafür gesorgt, dass das Thema in den politischen Diskurs gelangt ist. Innerhalb von drei Jahren seit Bestehen der Stiftung haben sie es geschafft, den Gesetzesentwurf dem Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz vorzulegen. Dort wird er derzeit geprüft. Ihre politische und mediale Arbeit war so erfolgreich, dass ihre Idee in das Wahlprogramm der Grünen aufgenommen wurde und sich viele Politiker:innen, unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz, für die neue Unternehmensverfassung ausgesprochen haben, was dazu geführt hat, dass die Idee nun im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht.
Und jetzt?
Ob eine solche Unternehmensform nun und genau so entstehen wird, werden wir in den nächsten Monaten und Jahren sehen. Doch auch wenn es diesmal nicht funktionieren sollte, war das Ganze nicht umsonst. Denn die Idee ist in der Welt; nun bekommt man sie nicht mehr so leicht aus dem Bewusstsein der Menschen, die sie erreicht haben. Die Plattform und das Ziel der Stiftung bestehen weiter, sowie die Unternehmen, die sich daran orientieren. Selbst wenn es in diesem Anlauf nicht gelingt: die beteiligten Akteur:innen haben schon unglaublich viel verändert und bewegt. Und wenn es doch funktioniert, sorgt es dafür, dass die Prinzipien vom Verantwortungseigentum rechtlich bindend und nicht optional veränderbar sind. Dann wird eine Unternehmensform für Menschen Platz greifen, die Gewinn und Rendite nicht als die Hauptziele ihres wirtschaftlichen Handelns sehen.
Für mich zeigt die Arbeit der Stiftung auf, dass man Strukturen in einer Gesellschaft verändern kann und das nicht nur im eigenen Umfeld. Institutionsgestaltung ist nicht nur wichtig, sie ist auch möglich. Mit Überzeugung und Arbeit können wir etwas bewegen und langfristig dafür sorgen, dass sich unsere Wirtschaft zum Besseren wandelt.
Solche Ideen werden nicht die Welt von heute auf morgen im Kern verändern, aber sie tragen dazu bei, dass wir Stück für Stück in eine neue bessere Zukunft gehen. Eine Zukunft, in der wir den Unternehmen wieder ein bisschen mehr vertrauen können. Nicht nur, weil sie selbst an ihre Ziele und Werte glauben, sondern weil sie sich selbst an sie gebunden haben.