Traut Euch: experimentiert!
Gute Arbeitsbedingungen gestalten und erproben – das will die minhafaktur eG schaffen und hat dafür eine alte Lagerhalle im Kölner Stadtteil Poll bezogen. Diesen gestaltet sie um zu einem Möglichkeitsraum für Begegnung, interdisziplinären Austausch, Vertiefung individueller Interessen, Kreativität und kooperative Wirtschaft: ein Experimentierraum an der Schnittstelle von Werkstatt, Atelier und Freiraum, im Kontext von Gemeinschaft und Grundprinzipien der Kooperation.
Wenn es um das Wohl der Menschen, der Natur und des Planeten gehen soll, geht es zugleich ans Eingemachte. Das Menschenbild, von dem her unsere Gesellschaft und Wirtschaft maßgeblich gestaltet werden, das die Menschen als Nutzen maximierend, rational und egoistisch darstellt und »dessen Macht nicht zuletzt darin besteht, den Menschen eine Wahrheit über sich, über die Logik ihres Handelns und ihre sozialen Beziehungen zu vermitteln«1 , ist dann nicht länger tragbar. Für eine Transformation hin zu einer Wirtschaft, die den Menschen dient, nicht andersherum, sind Experimentierflächen und angewandte Forschungsgemeinschaften erforderlich, die alternative Modelle des Miteinanders entwickeln und ausprobieren, Fehler erlauben, um daraus zu lernen, und im regelmäßigen Austausch mit sich und ihrer Umgebung stehen. Wie geht das?
Innovation braucht Ausprobieren
Eine neugegründete Unternehmung will dazu beitragen: die minhafaktur eG. Sie schafft Experimentierräume, weil die beteiligten Akteur:innen davon überzeugt sind, dass es Räume für Experimente braucht, um Vorstellungen einer anderen Zukunft zu entwickeln; Räume, in denen Menschen verschiedener Hintergründe und Interessen zusammenfinden und über ihre individuelle Arbeit hinaus gemeinwohlorientierte Projekte entwickeln und umsetzen, ihre Umgebung in demokratischen Prozessen gestalten, alternative Arbeitsformen erproben und in denen Gemeinschaft gelebt wird. Es geht um eine Gemeinschaft, in der Fehler als essenzieller Bestandteil von Innovation und Entwicklung gesehen werden. Es braucht Fehler und einen neuen Umgang mit ihnen, um politischen und gesellschaftlichen Wandel anzustoßen.
Dabei können Praxis und Theorie nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Es muss experimentiert und prototypisch ausprobiert werden; etabliert und verworfen; diskutiert und analysiert. Eine Gemeinschaft wird nicht am Reißbrett entworfen. Sie ist vielmehr ein emergenter Prozess, der sich im Kontext ihrer Mitglieder und deren Umgebung gestaltet. Oder wie Richard Sennett schreibt: »Gemeinschaft soll als Prozess verstanden werden, in dem im Laufe der Zeit Differenzen ihrer Mitglieder verarbeitet werden.«2
Ein Start mit Hindernissen
Vor diesem Hintergrund wurde die minhafaktur im Januar 2022 als Genoss:innenschaft mit Sitz in Köln gegründet. Sie zählt gegenwärtig 20 Mitglieder. Ihr Zweck ist es, Räume für gemeinschaftliche und interdisziplinäre Arbeit zu schaffen, die Kooperation ihrer Mitglieder zu fördern und eine gemeinsame Nutzung und Anschaffung von Ressourcen zu ermöglichen.
Um lebenswerte Arbeitswelten der Zukunft zu gestalten und erproben, hat sie eine ehemalige Lagerhalle im Kölner Stadtteil Poll bezogen, die als Möglichkeitsraum für Begegnung, interdisziplinären Austausch, Vertiefung individueller Interessen, Kreativität, und kooperatives Wirtschaften fungiert. Ihr Ansatz: ein Experimentierort an der Schnittstelle von Werkstatt, Atelier und Freiraum, im Kontext von Gemeinschaft und Grundprinzipien kooperativer Zusammenarbeit.
Wie alles begann
Die minhafaktur eG ist aus dem 2017 gegründeten Kunst- und Kulturverein minha galera e. V. heraus entstanden, um einen Teil der Vereinsarbeit zu vertiefen, indem Räume für gemeinschaftliche und interdisziplinäre Arbeit geschaffen wurden. Der Verein hatte zuvor selbst erlebt, wie schwer es für unkommerzielle Projekte und selbstorganisierte Gruppen ist, urbanen Raum für regelmäßige Treffen oder die Umsetzung von Projekten zu finden.
Nach zweijähriger Suche bezog er im Dezember 2018 eine ehemalige Teerpappenfabrik inmitten des Hürther Industriegebiets an der Stadtgrenze von Köln. Zwischen Chemielogistik und Wertstoffhof hat er eine soziale Begegnungsstätte etabliert. Auf 600 Quadratmetern sind neben einer Holz-, Metall- und Siebdruckwerkstatt sowie einer Dunkelkammer eine Veranstaltungsfläche und ein Co-Working-Space entstanden. Dort kamen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Hintergründen und Interessen zusammen, um ihre Ideen umzusetzen und voneinander zu lernen.
Ein Start mit Hindernissen
Im Zuge der Vereinsarbeit war das Problem der Knappheit verfügbaren Raums prägend. Eigene intensive Suchen nach bezahlbarer Fläche für Kunst und Kultur und Geschichten von unzähligen ähnlichen Initiativen, die entweder vertrieben oder gar nicht erst realisiert werden konnten, ließen bei einem Teil der Vereinsmitglieder den Wunsch wachsen, an Lösungen dieses gesamtgesellschaftlichen Problems zu arbeiten. Um sich zu verstetigen, stieß der Verein den Kauf des Geländes mit Hilfe der Trias Stiftung, einer Stiftung für Boden, Ökologie und Wohnen, an.
Während des Planungsprozesses stellte sich heraus, dass der Boden unter der ehemaligen Teerpappenfabrik bis zu 40 Meter tief kontaminiert ist und die neuen Eigentümer:innen die Verantwortung für diese Kontamination tragen würden. Hinzu kamen coronabedingte finanzielle Engpässe und fehlende Unterstützung von Seiten der Politik, die letztendlich zur Aufgabe des Standortes führten.
Eine gute Idee neustarten
Die minhafaktur eG greift die Vereinsarbeit auf und möchte die Idee eines solchen Experimentierortes weiterführen und vertiefen. Ihre Vision ist ein Ort für Begegnung und Austausch, an welchem voneinander gelernt werden kann. Denn dies sind Schlüsselelemente einer Gemeinschaft, die dem Individuum eine große Entfaltungsmöglichkeit bieten und Selbstwirksamkeit erfahrbar macht. Gleichzeitig fördern die gemeinsame Nutzung und Verwaltung von Raum und Ressourcen die Verantwortung und das Engagement der einzelnen Menschen. So stärken sie schlussendlich auch die gesamte Gemeinschaft. Dabei beschränkt sich die minhafaktur bewusst nicht auf einen einzelnen Tätigkeitsbereich, sondern möchte möglichst viele Perspektiven aufnehmen, um einen interdisziplinären Austausch zu ermöglichen: Mit einer Holz-, Metall- und Keramikwerkstatt sowie acht flexibel nutzbaren Räumen bietet sie einen Ort für Menschen, die in Gemeinschaft kreativ und interdisziplinär arbeiten und dabei ihr Wissen und ihre Fähigkeiten teilen möchten. Hier steht beides im Fokus, das Produkt und der Schaffensprozess. Hinzu kommt eine gemeinschaftlich verwaltete Fläche, die frei von ökonomischen Zwängen sowohl Mitgliedern als auch nicht-Mitgliedern zur Verfügung steht, um Veranstaltungen, Ausstellungen, Workshops und Seminare zu organisieren. Auch anderen Initiativen soll der Raum als Organisations- und Planungstreffpunkt zur Verfügung gestellt werden. Zurzeit stehen etwa 600 Quadratmeter offene Hallenfläche und 200 Quadratmeter Atelierräume zur Verfügung. Auf dieser Fläche haben sich verschiedene Projekte eingemietet, die zu einem Großteil schon in dem alten Vereinsstandort in Hürth stattgefunden haben. Dazu zählen zwei Start-Ups, die Möbelkiste vom Dabberg GbR und die mingbud OHG, der Kunst- und Kulturverein minha galera, das Künstler:innen-Kollektiv Yolkipalkis und mehrere freischaffende Künstler:innen und Handwerker:innen sowie ein Tattoo- und Musikstudio. Weitere 100 Quadratmeter Atelierräume sollen nun hinzukommen und neue Mitglieder geworben werden.
Solidarische Finanzierung
Die minhafaktur will sich langfristig durch die Vermietung von Atelier- und Werkstattplätzen finanzieren. Dabei bietet sie Mitgliedern sowie nicht-Mitgliedern die Möglichkeit, sich tage- bzw. monatsweise in eine Werkstatt einzumieten und damit Zugang zu allen Maschinen zu erhalten. Die Mieten und Beiträge für Werkstatt- und Atelierplätze richten sich nach der Miete der Immobilie und der durch Verwaltung und Instandhaltung entstehenden Nebenkosten. Sie sollen so niedrig wie möglich gehalten werden, um einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen. Zudem soll durch alle Mitglieder ein solidarischer Werkstatt- und Atelierplatz finanziert werden, um auch Personen, denen die finanziellen Mittel fehlen, die Möglichkeit zu geben, an einem solchen Projekt teilzuhaben. Die Finanzierung des Ortes kann als gemeinschaftlicher Prozess gesehen werden, da die ausgebauten Werkstätten und Ateliers einen wesentlichen Teil des Finanzierungskonzepts darstellen und auf die eigenverantwortliche und ehrenamtliche Arbeit der Mitglieder angewiesen sind.
Bedingungen des Gelingens
Mit dem Zeitgeist zu brechen, ist per Definition schwierig. Aber es ist nicht unmöglich, wie diese Geschichte des Gelingens zeigt. Bei der Umsetzung des Projekts stand und steht die minhafaktur gleichwohl mehreren Herausforderungen gegenüber. Die erste Hürde bestand darin, die richtige Rechtsform für das Vorhaben zu finden. Angefangen als gemeinnütziger Verein, wurde rasch klar, dass diese Rechtsform allein nicht das leisten kann, was benötigt wird. Der Zweck des Vereins sieht die Förderung von Kunst und Kultur vor, der Zweck der Genoss:innenschaft hingegen die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder und die Erprobung kooperativer Arbeitsformen. Für die gemeinschaftliche Verwaltung des Ortes und die Anschaffung von erforderlichen Ressourcen eignet sich die Genoss:innenschaft also besser. Die Gründung der Genoss:innenschaft stellte sich als ein aufwändiger und komplizierter Prozess dar, dem die Erarbeitung einer Satzung und die Erstellung eines Finanzplanes vorangestellt wird. Beides muss vom Prüfverband geprüft werden und erst dann kann die Eintragung in das Genoss:innenschaftsregister erfolgen.
Die größte und zugleich spannendste Herausforderung liegt jedoch darin, den Ort gemeinsam zu gestalten und zu organisieren, eigene Verwaltungs- und Organisationsformen zu entwickeln und ein faires Finanzierungskonzept auszuarbeiten. Die Genoss:innenschaft bietet dabei nur den rechtlichen Rahmen.
In diesem Sinne: verbündet euch, organisiert und und sucht euch Raum für eure Ideen. Und das so, wie es für euch passt. Gemeinschaft kann nicht am Reißbrett entworfen werden, Gemeinschaft braucht Raum für Begegnung und Prozesse.