So werden Institutionen gestaltbar
Jan-Philipp van Olfen, Absolvent des Masters Ökonomie – Verantwortung – Institutionsgestaltung und Mitgründer von Lotsenpack, ist im Gespräch mit seinem Studiengangsleiter, Lars Hochmann.
Lars: Ein Buch müsse die Axt sein für das gefrorene Meer in uns, formulierte der gerade 20 Jahre alte Franz Kafka in einem Brief an seinen Studienfreund Oskar. Als studierter Institutionsgestalter arbeitest auch du an Verhältnissen, die häufig gefroren, zumindest unterkühlt daherkommen: Unternehmen, Vereine, Verwaltungen, NGOs und so weiter. Wie schaffst du es, dass gefroren scheinende Institutionen wieder als gestaltbare Gebilde wahrgenommen und schließlich auch tatsächlich neu- und umgestaltet werden?
Jan-Philipp: In erster Linie ist das eine Haltung. Als Prozessgestalter bringe ich die Haltung mit, dass Menschen und Organisationen stets selbst in der Lage sind, Lösungen für ihre Herausforderungen zu finden. Meine Aufgabe ist es also nicht, fertige Lösungen in Prozesse zu bringen, sondern Räume zu ermöglichen, in denen Organisationen ihre eigenen Lösungen suchen, finden und entwickeln können. Ich bin überzeugt, dass Veränderungen und Entscheidungen vor allem dann nachhaltig wirken, wenn sie partizipativ entwickelt werden und jede Sichtweise in den Raum geholt wird. Mein Ziel ist es also, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Dabei lege ich den Fokus auf die Beziehungen und Prozesse in einer Organisation. Für mich gilt der Grundsatz, dass wir für einen erfolgreichen Prozess zuerst den Raum für gute Beziehungen schaffen und anschließend an konkrete Entscheidungen und Projekte gehen. Ich leiste Hilfe zur Selbsthilfe und fördere die Selbstführung.
So lange fragen, bis deinem Gegenüber die Antwort selbst klar wird – das ist die sokratische Hilfe zur Selbsterkenntnis und vermutlich der demokratischste und würdevollste Beratungsansatz überhaupt, weil niemandem vorgeschrieben wird, wie gelebt werden soll. Was bringst du über diese Haltung hinaus mit?
Handwerkszeug. Prozessgestalter zu sein, bedeutet, Methoden zu kennen und sie passend zu meiner Haltung und dem Prozess anwenden zu können. Ich moderiere ein gegenseitiges Verstehen der Mitglieder einer Gruppe und achte darauf, dass alle mitkommen und in ihren Perspektiven und Bedürfnissen gesehen werden. Zu diesem Handwerk gehört für mich ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Flexibilität, um den Prozess in jedem Moment an das anzupassen, was gerade wirklich gebraucht wird. Hinzu kommt Wissen darüber, wie sich Prozesse entfalten und Veränderungen nachhaltig wirken. Daher kann es je nach Prozess sinnvoll sein, von meiner Seite Inputs einzubringen.
Gute Prozesse brauchen eine gemeinsame Basis. Die Klärung von Grundlagen ist also unbedingt empfehlenswert, damit ein gemeinsames Vokabular entstehen kann. Du hast das wechselseitige Verstehen bereits angesprochen. Das kann nur gelingen, wenn unsere Begriffe klar sind. Das braucht Zeit – und die Offenheit, sich auf einen Prozess einzulassen. Heute, da ungefähr alles projektförmig mit Anfang und Ende geplant sein muss, ist das schon eine große Herausforderung: zu verstehen, dass es um einen Prozess geht.
Prozessgestaltung kann auch in kürzeren Zeiträumen geschehen und auch mal nur einen einzigen Workshop umfassen. Ich persönlich sehe mich jedoch vor allem in der langfristigen Begleitung von Organisationen. Das liegt zum einen daran, dass ich den Eindruck habe, dass die meisten Themen viel Zeit brauchen, zum Beispiel dafür, dass Beziehungen wachsen können, dass man zum Kern der Themen vordringt und um neue Strukturen und Routinen zu entwickeln. Es liegt aber auch daran, dass ich einfach mehr Freude daran habe, Organisationen länger zu begleiten, weil die Begleitung dann mehr in die Tiefe gehen kann.
Was brauchen Prozesse, damit sie Tiefe entfalten?
Für eine langfristige Begleitung braucht es aus meiner Perspektive unterschiedliche Ebenen. Es braucht Räume, in denen wir an der Kultur, also an den Beziehungen, den Werten und der Haltung in einer Organisation arbeiten können. Es braucht Räume, in denen neue Strukturen entwickelt und erprobt werden. Und für eine neue Kultur und Struktur braucht es meistens auch neue Fähigkeiten und Kompetenzen. Als Prozessbegleiter würde ich gerne auf allen drei Ebenen arbeiten. Wenn eine Fachexpertise benötigt wird, die ich selbst nicht leisten kann, hole ich sie von extern dazu. Das gilt vor allem dann, wenn Prozesse auf der kollektiven Ebene Prozesse auf der individuellen Ebene anstoßen, die nicht im kollektiven Raum gehalten werden können. Da endet meine Kompetenz als Prozessbegleiter. In solchen Fällen ist therapeutische Begleitung erforderlich.
Deine Arbeit ließe sich als institutionelle Therapie begreifen. Die Techniken sind recht ähnlich. Die eigenen Grenzen zu kennen und anzuerkennen – und im Zweifel professionellen Rat einzuholen oder an ihn zu verweisen – ist zweifellos wichtig. Bei welchen Themen bist du umso mehr ›on fire‹?
Als Prozessgestalter bin ich auf den Prozess und nicht auf einen bestimmten Inhalt spezialisiert. Daher kann ich zu unterschiedlichen Themen arbeiten. Dennoch merke ich, dass mich vor allem Prozesse interessieren, bei denen es auch inhaltlich um soziale Komponenten geht. Themen, wie der Umgang miteinander, gute Teamarbeit und (Selbst-)Organisation, interessieren mich besonders, aber auch andere gesellschaftlich relevante Themen, wie Nachhaltigkeit. Das Geniale an meiner Arbeit ist, dass ich in jeden Prozess – auch, wenn es um eher technische Themen geht – die sozialen Prinzipien und Kompetenzen der Institutionsgestaltung einbringe. Das führt grundsätzlich zu einem partizipativeren Miteinander in der jeweiligen Organisation, selbst wenn das gar nicht das eigentliche Thema des Prozesses ist.
Du hast jetzt von Haltung gesprochen und von Handwerkszeug sowie dem Wissen darum und der Fähigkeit, damit umgehen zu können. Was war für dich in deinem Studium der Institutionsgestaltung wichtig, damit du in diese Haltung gelangen und Könnerschaft in diesem Handwerk erlangen konntest?
Um zu dieser Haltung zu kommen, waren vor allem die Möglichkeiten wichtig, mich als Institutionsgestalter und Facilitator ausprobieren zu können. Ich habe im Laufe des Studiums verschiedene Prozesse gestalten dürfen und dabei immer klarer festgestellt, was mir liegt und was mir Freude macht. Gerade die Vielfalt war daher sehr wichtig für mich. Besonders wertvoll war die Begleitung der Segelabteilung des FC St. Pauli, weil ich dort das erste Mal eine Organisation über einen längeren Zeitraum begleiten konnte. Genauso wichtig wie die Praxis waren jedoch auch die Räume zur Reflexion, in denen ich mir meine Lernerfolge und aufkommende Fragen bewusst machen konnte.
Lernen durch Erfahrung und durch Reflexion von Erfahrung – wie geht es für dich nun nach dem Studium weiter?
Ich will mich noch mehr damit beschäftigen, was es braucht, damit sich Menschen innerhalb eines Workshops, ihres Teams, ihrer Organisation wohlfühlen und gut zusammenarbeiten können. Vor allem die Themen Kommunikation, Gruppendynamiken, Ko-Kreation und Umgang mit Komplexität reizen mich besonders. Zudem werde ich der Frage nachgehen, wie in einer langfristigen Begleitung die unterschiedlichen Ebenen von Veränderungen wie Kultur, Struktur, Kompetenzen, Tools und so weiter gut miteinander verzahnt werden können. Dafür brauche ich noch weitere Möglichkeiten, um mich selbst und verschiedene Methoden auszuprobieren und zu reflektieren. Dazu wiederum brauche ich tolle Menschen, die sich gemeinsam mit mir in dieses Unternehmen stürzen und mit mir lernen und arbeiten wollen. Und zu guter Letzt brauche ich erfahrene Menschen, denen ich immer wieder Fragen stellen kann, wenn ich nicht weiterweiß. Genau dafür gründe ich mit meinen Kommiliton*innen das Lotsenpack – um uns diese Möglichkeiten zu verschaffen.
Nach dem Spiel ist also auch in eurem Fall vor dem Spiel. Gutes Gelingen für euch und herzlichen Dank für das Gespräch!