Wie Kultur unternehmen?
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Kultur aus der Tiefe: Tanztheater und Clubkultur zwischen Möglichkeiten und Prekaritäten. Im Zuge der, durch die Covid-19 Pandemie herbeigeführten Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverbote wurden große Teile des Kultursektors vor existentielle Herausforderungen gestellt. Der Autor der Studie, Nico Berthold, setzt sich exemplarisch anhand des »objekt klein a« (OKA), einem Dresdner Club im alternativen Milieu, und im Austausch mit Wiete Sommer, mit diesen Herausforderungen und möglichen Bewältigungsstrategien auseinander. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sieben Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den ersten von sieben Teilen. Unterhalb des Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen.
Arbeiten im Kollektiv
Das Gelingen dieser Praxis ist im Besonderen auf die Arbeit im Kollektiv zurückzuführen. Gemeinsam an den Ideen zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen im Arbeitsprozess, erfordert nicht nur eine offene Kommunikation, sondern auch Fähigkeiten des Verständigens und eine tolerante Fehlerkultur. Für Wiete Sommer erzeugte dies einen Flow, der sie durch das Projekt getragen und ihr gezeigt hat, dass sie nicht mehr anders arbeiten möchte. Auch die bereits zuvor gesammelten Erfahrungen der einzelnen Akteur*innen waren essenziell für die gemeinsame Arbeit:
»Die Leute, die ich bei der Stamina, dem Tanz Theaterstück, dabeihatte, da waren ganz viele, die hatten einfach kollektive Erfahrungen und das ist meiner Meinung nach ganz wichtig, um so ein, so eine Arbeitsstruktur gut aufzubauen.«
(Interview Sommer)
Die gegenseitige Wertschätzung und das Wissen um die Fähigkeiten, Leidenschaften und Hoffnungen, aber auch Hemmungen, Hemmnisse und Sorgen der Beteiligten waren der Ausgangspunkt dafür, sich auf die lokalen Möglichkeiten, die Künstler*innen der Dresdner Szene, besinnen zu können und zu wollen:
»Ich merke eben auch, dass sich Ideen auch total gut durch Gespräche entwickeln und dass ich das auch wichtig finde, dass man – also ich kämpfe eigentlich dafür, in Dresden die Leute, die es hier gibt, mit ihren Fähigkeiten, die in Projekte einzubinden.«
(ebd.)
Vielfalt als Bereicherung und auch als Quell für Inspiration und Kreativität begreifen zu lernen, verweist auf eine Organisation, die selbst im Wandel ist, die lernt und veränderte Bedingungen dynamisch verarbeiten kann und will. Auch Wiete Sommer ist aus den Projekten verändert hervorgegangen und konnte klar bekommen, was für sie in Zukunft wichtig ist. Es geht um Diversität, um das Auflösen von Hierarchien und das Zusammenführen von verschiedenen Kompetenzen, um gemeinsam über den Tellerrand der eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse blicken zu können:
»Stamina hat mir nochmal gezeigt, dass es mir selber nicht reicht, als Modedesignerin zu arbeiten, sondern ich habe dort 25 Leute dazu bewegen können, an diesem Projekt teilzunehmen. Und ich finde es total spannend, Menschen zusammenzubringen und diese Brücke zu bauen und mit den Leuten an einem Projekt zu arbeiten, ohne dass ich jetzt genau sage ›Du musst das so und so machen‹, sondern einfach auch diesen Freiraum zu geben.«
(ebd.)
Die kollektive Erarbeitung von Ideen, die gemeinsame Tätigkeit für ein Ziel, im Zweifel unentgeltlich für ein Ideal und die Sache an sich, statt individuell für monetäre Entlohnung zu arbeiten, waren die Triebkräfte des Projektes. Es waren Partizipation, Sinn und Teilhabe, also »dieser soziale Kontext, der uns dieses Projekt entstehen lassen hat« (ebd.).
Förderung und Institutionalisierung
Die Finanzierung von Kultur-Unternehmungen, die nicht auf Profitmaximierung aus sind und die Kunst und Kultur nicht marktförmig machen, schlussendlich verzwecken wollen, ist der vielleicht schwierigste Teil ihres Geschäftsmodell. Förderoptionen identifizieren und die Mittel einwerben zu können, sind wichtige Kompetenzen. Durch die verschiedenen Ebenen der Institution hinweg wurden im untersuchten Feld bis zuletzt Fortschritte gemacht bei der Einwerbung von Fördermitteln. Positiv wirkte sich aus, dass im Jahr 2020 personeller Zuwachs aus der Tanzszene mit Erfahrungen im Controlling und im Schreiben von Förderanträgen zur Unternehmung dazustieß. Als Antragsteller fungierte der Verein:
»Der e. V. wurde gegründet aus Förder-Gründen. Und halt auch, weil sich der e. V. dann in die UG einmietet. […] Ja, also das finde ich auch spannend nochmal zu erwähnen, dass man in diesem System sich irgendwie sein eigenes System entwickeln muss, um in diesem System zu bestehen.«
(Interview Sommer)
Der Mangel an institutionellen Lösungen, um die Praxis der Akteur*innen im Kultursektor angemessen abzubilden, wirft ein Universum an Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse auf, um rechtliche Konstruktionen zu ermöglichen, die der sowohl erwerbswirtschaftlichen wie gemeinnützigen, beziehungsweise gemeinwohlorientierten Praxis gerecht werden. Durch die Initiative Neustart Kultur konnten schließlich zwei große Technikförderungen eingeworben werden. Dadurch hat sich der Club »unglaublich ausgerüstet mit feinster Technik« (ebd.). Hinzu kamen die Förderungen des Landes Tourismusverband Sachsen e. V. unter dem Namen Denkzeit-Event, mit denen sowohl Palais Palette e. V. als auch objekt klein a e. V. gefördert wurden. Die Relevanz der Fähigkeit, Fördermittel einwerben zu können, streicht auch Wiete Sommer hervor. Sie konnte als Veranstalterin eine Finanzierung akquirieren und damit ein Budget für die nächste Stamina sicherstellen:
»Und ich habe von dieser Ausschreibung mitbekommen und hab […] dann auch an der Ausschreibung teilgenommen und dann auch tatsächlich 10.000 Euro gewonnen für die nächste Stamina, also für das nächste Tanztheater-Projekt.«
(ebd.)
Neben diesen projektbezogenen Förderungen, die in der Tendenz eine Betriebsamkeit in der kontinuierlichen Beantragung mit sich bringen, ist das Wissen um institutionelle statt projektbezogene Förderungen sowie das Können im kommunalen Lobbying, inklusive des Netzwerkens in politischen Feldern und des langen Atems, der dafür erforderlich ist, für Kultur-Unternehmungen relevante Gelingensbedingungen. Auch der objekt klein a e.V. konnte sich diesbezüglich finanziell auf ein stabileres Fundament hieven:
»Aber so frustriert und gestresst wir von der Gesamtsituation sind, wir haben auch eine gute Nachricht. Denn der objekt klein a e. V. ist in diesem Jahr in den erlauchten Kreis der institutionell von der Stadt geförderten Kultureinrichtungen aufgenommen worden! Wir sind mega dankbar und nicht wenig stolz, denn damit sind wir der erste Club mit Fokus auf elektronischer Musik, dem diese Unterstützung zuteil wird, und noch dazu im ersten Anlauf, zumal in Zeiten knapper Kassen! Darum fällt der Betrag auch nicht gerade gigantisch aus, aber es ist ein erster Schritt und vor allem ein Signal, dass Clubkultur allmählich bandbreit als solche anerkannt wird, auch in Dresden!«
(OKA Facebookseite 2021)
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Kultur aus der Tiefe: Tanztheater und Clubkultur zwischen Möglichkeiten und Prekaritäten. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sieben Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:
- Teil 1: Leere Tanzflächen und geschlossene Theater
- Teil 2: Ungewisse Zukunft des Kultursektors
- Teil 3: Die Kultur-Szene kriselt
- Teil 4: Virtuelle Räume der Begegnung
- Teil 5: Wie Kultur unternehmen?
- Teil 6: Kultur braucht Anerkennung
- Teil 7: Wider die Sachzwänge
Die gesamte Studie im Open Access lesen.