Ungewisse Zukunft des Kultursektors
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Kultur aus der Tiefe: Tanztheater und Clubkultur zwischen Möglichkeiten und Prekaritäten. Im Zuge der, durch die Covid-19 Pandemie herbeigeführten Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverbote wurden große Teile des Kultursektors vor existentielle Herausforderungen gestellt. Der Autor der Studie, Nico Berthold, setzt sich exemplarisch anhand des »objekt klein a« (OKA), einem Dresdner Club im alternativen Milieu, und im Austausch mit Wiete Sommer, mit diesen Herausforderungen und möglichen Bewältigungsstrategien auseinander. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sieben Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den ersten von sieben Teilen. Unterhalb des Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen.
Der Schockmoment
Der zur Eindämmung der Corona-Pandemie einberufene Lockdown traf den noch jungen Club im Jahr 2020 im Kern des Geschäftsmodells. Veranstaltungen im Club waren nicht mehr möglich. »Am Anfang war es ein ganz schöner Schock« (Interview Sommer), schilderte meine Forschungspartnerin Wiete Sommer:
»Bis die Clubs wieder öffnen können, das war schnell ersichtlich, wird ganz viel Zeit und Energie vergangen sein. […] Und da ist die Frage natürlich: Wie kann sich ein Club in dieser Krise überhaupt am Leben halten, wenn er pro Monat 3.000 bis 4.000 Euro an Kaltmiete zahlen muss? Das muss ja alles reinkommen. Und der Club agiert einerseits als UG. Das heißt, dass er durch die Partys sehr viel Kohle und Geld generiert […] und über den e. V. machen wir halt so ganz viele künstlerische Dinge.«
(ebd.)
Da die konventionellen Veranstaltungen nicht mehr möglich waren, wurde die Kultur-Unternehmung zunächst vor das existenzielle Problem gestellt, dass altbewährte Formen des Handelns, eingespielte Arbeits- und Geschäftsprozesse nun nicht mehr möglich waren. Doch die Erfordernisse wie Mietenzahlung, Verwaltung, Instandhaltung und Netzwerkarbeit blieben: »Es wurde sich auf jeden Fall damit auseinandergesetzt, ob man den Club schließt« (ebd.). Die Fähigkeit, die eigene Situation erkennen und darüber gemeinsam reflektieren zu können, erwies sich als entscheidend, inklusive der Befähigung, den eigenen (gesellschafts) politischen Stellenwert zu erkennen. Auf Unterstützung und finanzielle Hilfe seitens der Politik zu hoffen, schien kein Ausweg zu sein, »weil die Clubs stehen halt an letzter Stelle, davor kommen die Theater, davor die ganzen anderen Institutionen oder Bereiche« (ebd.). Die Fähigkeit, zu erkennen, wer welche Deutungsmacht in Bezug auf die Pandemie ausübt und welche Akteur*innen dabei stimmlos bleiben, verband sich mit dem Drang, die eigene Geschichte auch selbst erzählen zu wollen. Trotz düsterer Aussichten wurde nicht klein beigegeben:
»Es wurde dann schnell klar, dass man die Clubs nicht fallen lassen kann. Und dass es auch für die Wirtschaftsförderung gibt. Und die nutzen die natürlich. Aber die ist auch nur dafür da, dass dieser Club geradeso am Leben bleibt.«
(ebd.)
Das Wissen um die gesellschaftliche Relevanz der eigenen kulturellen Unternehmung befähigte die Akteur*innen dazu, die Hoffnung in Zeiten von Unwissenheit nicht zu verlieren und nach Lösungen zu suchen. Solidarität und Verständnis gab es vor allen Dingen von Akteur*innen jenseits der Politik: »Es wurde dann auch schnell klar, dass man ja nicht alleine ist« (ebd.). Auch die anderen Clubbetreibenden und Veranstalter*innen hatten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, und dass es anderen ganz ähnlich geht, ist häufig nur eine umgangssprachliche Formulierung dafür, dass die Probleme struktureller Art sind. Diese Missstände sind kein Geheimnis.
»Niedriges und unregelmäßiges Einkommen, befristete oder unabsehbare Beschäftigungsdauer, wechselnde bis verschwimmende Phasen von entlohnter Erwerbsarbeit und unentgeltlicher – sprich Gratisarbeit, schwache soziale Absicherung, fehlende Planbarkeit und geringe Karriereperspektiven: Das ist kein Versuch der Definition der Arbeitsrealitäten der freien Kulturszene. Das ist die Definition prekären Arbeitens. Und doch beschreibt es treffend die Lebens- und Arbeitsbedingungen freier Kunst- und Kulturarbeiter*innen. […]. Denn in weiten Teilen des Kulturbereichs ist die sogenannte ›atypische‹ Beschäftigung, sofern überhaupt ein Beschäftigungsverhältnis besteht, längst typisch – miserable Einkommenssituation und Risiken der lückenhaften sozialen Absicherung […] inklusive.«
(Krienzer-Radojević et al. 2018)
Zu Beginn der Pandemie, die dieses Prekariat noch sichtbarer gemacht hat, halfen sich die Akteur*innen der Dresdener Szene zunächst selbst. Sie rückten zwar physisch auf Distanz, doch empathisch näher zusammen. Ein Mittel dafür war der wenige Monate zuvor von Felix Buchta, welcher für die Öffentlichkeitsarbeit des OKA zuständig ist, mitgegründete Verein KlubnetzDresden e. V. Das Netzwerk wurde vor der Pandemie als strategische Allianz gegründet, um die Interessen der Akteur*innen der Clubkultur gemeinsam besser vertreten zu können. Kraft schöpften die Beteiligten nicht nur aus Institutionen und Politik, sondern zu großen Teilen auch aus dem Wissen um die kollektive Solidarität und Selbstorganisation der Subkulturszene:
»Auf jeden Fall die ganzen Leute, die hinter uns standen. Also, was heißt, hinter uns. Hinter diesem Club. Ich habe da auch mit anderen Leuten drüber geredet, und die haben auch zugesagt: Hinter diesem Club stehen einfach so viele Menschen – der geht nicht unter. Das wird nicht passieren, weil es eben auch diese ganzen DJ-Kollektive in Dresden gibt.«
(Interview Sommer)
Die Kenntnis um das eigene Netzwerk sowie die direkte oder indirekte Wertschöpfungskette war erforderlich, um zu einer gemeinsamen und selbstbestimmten Deutung der Krise zu gelangen. Sich mithin selbst als Teil einer größeren Szene zu wissen und solidarisch zu kooperieren, das heißt, sich nicht nur den eigenen Interessen, sondern auch denen der Gemeinschaft gegenüber verpflichtet zu fühlen, waren entscheidende Bedingungen dieser Gelingensgeschichte im Ringen um Deutungshoheit.
Die Menschen dahinter
Dass die Kultur-Unternehmung die Pandemie übersteht oder überstehen könnte, heißt im Umkehrschluss nicht, dass sie auch weiterhin die Menschen, die für sie tätig sind, ernähren kann: »Die Löhne der zwanzig abhängig Beschäftigten im objekt klein a, zu denen ich gehöre, werden notgedrungen ausgesetzt. Arbeit fällt dort allerdings trotz Schließung an« (Augusto-Sachsen 2020). Die Mitglieder der Organisation mussten also einerseits neue Wege der Lebensfinanzierung suchen, andererseits zusätzliche Arbeit unentgeltlich erledigen. Da auch alle anderen Beschäftigungen in der Veranstaltungsbranche weggebrochen sind, stellte und stellt das eine doppelte Belastung dar. Die ausgeprägte Bindung an den Betrieb und die Identifikation mit dem, wofür er da ist, sind zentrale Bedingungen des Gelingens, insbesondere vor dem Hintergrund, dass unentgeltliches Engagement nicht allen gleichermaßen möglich ist: »Also ich weiß von einem, der studiert, dass er sich auf jeden Fall eine Platte machen musst, wo er jetzt anders her Geld bekommt und trotzdem noch unterstützen kann« (Interview Sommer). Die persönlichen Problemlagen vieler Betroffener verweisen auf problematische Institutionen:
»Bei mir ist das Problem, ich habe erst im letzten Jahr im April meine Selbstständigkeit beim Finanzamt angemeldet. Dadurch falle ich raus, weil ich nämlich vom vorletzten Jahr keine Einkünfte nachweisen kann. Also, ich bin so voll in dieser Scheiße drin, dass ich eigentlich gar nicht existiere. […] Seit zwei Jahren bin ich Hartz-4-Empfängerin. Weil ich eben auch seit zwei Jahren Förderanträge schreibe und gucke, wie ich mich in dieser Stadt verwirklichen, wie ich leben, existieren kann, wo ich einen Aufhänger finde.«
(ebd.)
Antragslyrik verfassen zu können, ist zweifellos eine wichtige Fähigkeit von Kultur-Unternehmungen, die nicht nach einer hohen Kapitalrendite trachten. Doch auch in Bezug auf die Lebensformen, die damit einhergehen, zeigt sich ein ausgeprägter Drang, leben zu wollen, aber eben nicht um jeden Preis und nicht um jeden Preis so leben zu wollen, Ansprüche an das Leben zu stellen, sich künstlerisch verwirklichen zu können. So verschieden die Beteiligten sind, so verschieden sind ihre Geschichten. Wie Wiete Sommer geht es nicht allen, zumal im Kultursektor die erwerbsbiografischen Verhältnisse divers sind:
»Viele haben aber auch einfach ihre festen Jobs. […] Und von manchen anderen geht das Studentenleben weiter. Also, es geht auf jeden Fall weiter, wenn auch sehr spärlich. Aber es geht weiter.«
(ebd.)
Bereits vor der pandemischen Konstellation, das heißt trotz gut laufender Veranstaltungen und überregionaler Bekanntheit der Institution, konnten nahezu sämtliche Mitarbeitenden nicht alleine von den Honoraren des Clubs leben, was erneut die tieferliegende Krise in der gesellschaftlichen Versorgung mit Kunst und Kultur hervorstreicht. »Also, wenn, dann ist sowieso, ich denke, eher der Geschäftsführer der Einzige, der da so mit einem Honorar ausgezahlt wird, dass der davon leben kann. Keine(r) erhält einen Lohn, von dem er oder sie leben kann. Ich arbeite für diesen Club, weil seine Existenz wichtig für unsere Subkultur und damit für unser Zusammenleben ist. « (ebd.). Die Not der Betroffenen hat sich derart normalisiert, dass von Existenzängsten nicht gesprochen wird – ist Prekarität der Normalzustand, ist die Fallhöhe niedrig:
»Hast du eine Firma, dann kannst du wahrscheinlich Existenzängste haben, weil die auf einmal zusammenbricht. Aber wenn du nichts hast, dann brauchst du keine Angst haben.«
(ebd.)
Die Lebens- und Arbeitsrealitäten einer ganzen Branche, die von Mittellosigkeit und Unsicherheit geprägt sind, zeugen von strukturell tiefsitzenden Problemen. Die Corona-Krise ist für die Betroffenen lediglich Ausdruck und Katalysator einer grundlegenden Gesellschaftskrise. Sie tut sich als ein Mangel in der gesellschaftlichen Wertschätzung gegenüber einer ganzen Branche kund, die maßgeblich beteiligt ist an den gelingenden Gestaltungen des gesellschaftlichen Lebens, die kulturelle Errungenschaft ist, die bei der Bildung von Identitäten hilft und die schlussendlich auch eine erwerbswirtschaftliche Grundlage für einen erheblichen Teil der Menschen in Deutschland bildet. Neben den finanziellen Schwierigkeiten ergeben sich durch die Pandemie weitere psychisch-körperliche Einschränkungen, denen die Akteur*innen mal mehr, mal weniger ausgesetzt sind: Sinnstiftende Tätigkeiten entfallen, Training und Projektarbeit ist nur beschränkt möglich, was für Berufsgruppen wie Tänzer*innen zu existenziellen Problemen führen kann, da Fertigkeiten und Verbindungen verlorengehen.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Kultur aus der Tiefe: Tanztheater und Clubkultur zwischen Möglichkeiten und Prekaritäten. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sieben Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:
- Teil 1: Leere Tanzflächen und geschlossene Theater
- Teil 2: Ungewisse Zukunft des Kultursektors
- Teil 3: Die Kultur-Szene kriselt
- Teil 4: Virtuelle Räume der Begegnung
- Teil 5: Wie Kultur unternehmen?
- Teil 6: Kultur braucht Anerkennung
- Teil 7: Wider die Sachzwänge
Die gesamte Studie im Open Access lesen.