Transformationssehnsucht
In dieser Folge des Podcasts »lautdenken« attestieren Stephie und Lars unserer Gesellschaft einen Mangel an Transformationssehnsucht. Denn die Sorge über zunehmende Einschränkungen und Verzicht bestimmen allzu häufig unsere Vorstellung von einer nachhaltigen, auf das gutes Leben ausgerichteten Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Wer sich für Nachhaltigkeit einsetzt, gerät immer wieder in Rechtfertigungsnot. Dabei geht es bei diesem Transformationsvorhaben hin zu mehr Nachhaltigkeit ganz bestimmt nicht um eine Beschränkung und Verarmung unseres Lebens. Vielmehr verkörpert dieses Vorhaben den Versuch, auch den nachfolgenden Generationen ein gutes und erfülltes Leben zu ermöglichen – und das innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen unserer Erde. Möchte man dieses Vorhaben aber tatsächlich vorantreiben, darf man nicht bei einer distanzierten und theoretischen Auseinandersetzung mit abstrakten Messgrößen verharren, so Stephie und Lars. Denn abstraktes Wissen lässt sich leicht verdrängen. Konkrete Erfahrungen und Betroffenheit hingegen machen die Klimakrise greifbar und stellen einen Bezug zwischen dem Wissen um die Klimakatastrophe und der eigenen Lebensrealität her. Erst durch Betroffenheit werden wir dazu bewegt, selbst ins Handeln zu kommen und zu Lösungen beizutragen, erst durch sie kann die Sehnsucht nach Transformation geweckt werden und so Vorstellungen alternativer Zukünfte entstehen.
Von einer neuen kritischen Wissenschaft geht für Stephie und Lars das Potenzial aus, mit positiven Zukunftsbildern und Impulsen Transformationssehnsüchte zu wecken, zu bilden und zu nähren. Solch eine Wissenschaft steht in der Verantwortung, Transformationsprozesse zu begleiten und zu unterstützen. Sie verharrt nicht in einer reinen Empirie des Zählens, Messens und Beobachtens, denn in ihrem Zentrum steht die Frage nach dem »was sein könnte«, nicht nur nach dem »was ist«. Solch eine Wissenschaft entwickelt ihre Fragestellungen im engen Austausch mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur:innen. Sie verbindet eine transdisziplinäre Methodik und wissenschaftliche Systematik mit außerwissenschaftlichem Wissen und Bestreben. Oder mit anderen Worten: Es braucht eine Wissenschaft, die unseren Sinn für das Mögliche schult und uns zur begründeten, demokratischen Gestaltung befähigt.
Trotz der vielen und unterschiedlichen Initiativen und Unternehmungen, die sich um mehr Nachhaltigkeit bemühen, fehlt es in unser Gesellschaft jedoch an kollektiven Zukunftsvisionen und geteilten Transformationssehnsüchten, die ein Fluchtpunkt am Horizont sein und so unserem Handeln Richtung geben können. Um Nachhaltigkeit zu ermöglichen, bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Vision, die ähnlich dem Wettlauf ins All in den 1960er-Jahren unsere Gesellschaft mit ihren vielen unterschiedlichen Initiativen und Unternehmungen zusammenbringt, um gemeinsam der Klimakatastrophe entgegenzutreten. In all der notwendigen gesellschaftlichen Diversität bedarf es einer geteilten Transformationssehnsucht.
– Levi Hepp